Ein kurzer Essay über den Umgang mit Texten und die Haltung Jesu zur Gewalt
Nicht erst seit dem perfiden Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt am 7.-9. Januar 2015 in Paris, der 17 Menschen das Leben kostete, ist die Diskussion um die Frage entbrannt, welche Rolle Gewalt im Islam spielt. Von religionskritischer Seite wird die Frage sogar ausgeweitet. Nicht selten ist dann der Vorwurf zu hören, der Monotheismus an sich berge eine Tendenz zur Gewalt gegenüber Andersgläubigen. Auch das Christentum, das doch zur Nächstenliebe aufrufe, sei davor nicht gefeit. Immerhin sage Jesus selbst in Matthäus 10,34, er sei gekommen, um das Schwert zu bringen, und stelle damit seine eigene Aufforderung zur Feindesliebe aus Matthäus 5,44 radikal in Frage. Entpuppt sich der von den Christen als Heiland Verehrte damit nicht als Zerrbild? Wie also steht Jesus selbst zur Gewalt?
Die Frage ist nicht so komplex, wie sie auf den ersten Anschein aussieht. Sie wird es, wenn man ein einseitiges Jesusbild vertritt, dass aus Jesus einen Menschen macht, der nur lieb war. Dabei wird vergessen, dass Jesus bereits im Neuen Testament auch als Richter vorgestellt wird (etwa in 2 Korinther 5,10). Die alttestamentliche Gerichtsansage wird im Neuen Testament keineswegs aufgehoben – im Gegenteil. Sie bildet einen konstitutiven Bestandteil der neutestamentlichen und damit auch christlichen Botschaft, der gerne ausgeblendet wird. Das gilt auch für Aussagen über den Zorn Gottes u.a. – man muss hier nur etwa den Römerbrief 1,18 ansehen:
„Der Zorn Gottes wird vom Himmel herab offenbart wider alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten.“
Allein das macht schon deutlich, dass die oft vertretene Ansicht, das alttestamentliche Gottesbild sei nicht das des Neuen Testamentes, oberflächlich, ja sogar falsch ist. Der Gott des Alten ist der Gott des neuen Testamentes. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist der Gott und Vater Jesu Christi.
Von hier aus stellt sich jetzt aber die Frage, wie sich denn das Gebot der Feindesliebe (Matthäus 5,44) mit der Aussage Jesu von Matthäus 10,34, er sei nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sonder das Schwert, zusammenpassen soll. Hierzu zuerst zwei grundsätzliche Bemerkungen:
1. Es ist eine Unsitte, Einzelsätze aus dem Zusammenhang zu reißen. Viele, die solche Sätze zitieren, haben sie nie im Zusammenhang gelesen. Wir werden hier gleich einen genauen Blick auf diesen Zusammenhang werfen, der schon manches erhellt. – Das Neue Testamen, vor allem die Evangelien, sind keine Spruchsammlungen, sondern Erzählungen. Das macht es notwendig, die einzelnen Aussagen auch in ihrem erzählerischen Zusammenhang zu betrachten.
2. Das Gericht, von dem in der Bibel die Rede ist, ist kein Strafgericht, sondern errichtet die letzte Gerechtigkeit. Modern und vereinfacht könnte man es auch den großen göttlichen Täter-Opfer-Ausgleich nennen. Es geht nicht um Strafe, sondern um das letzte Heil, die Schaffung der Gerechtigkeit für die Entrechteten. Besonders fassbar ist dieser Zusammenhang im Magnifikat:
„Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.“ (Lukas 1,52)
Dieser Gedanke steht auch hinter 2 Korinther 5,10: Alle müssen offenbar werden und werden den Lohn (!) (von Strafe ist hier nicht die Rede) empfangen für das Gute und das Böse, das sie im irdischen Leben getan haben. Dass hier der Zorn Gottes eine Rolle spielt, der die trifft, die unbelehrbar sind, hat dann eine besondere Konnotation, die aber in der Unbelehrbarkeit begründet ist.
Von diesen Vorbemerkungen aus kann nun die Frage dem Verhältnis Jesu zur Gewalt in den Blick genommen werden. Die Feindesliebe von Matthäus 5,44 gehört zu den fundamentalen und radikalen jesuanischen Aussagen. Hinter die Feindesliebe gibt es kein Zurück. Jesus selbst hat diese Radikalität bis zuletzt gelebt. Sein Gewaltverzicht bei seiner Verhaftung am Tag vor seinem Kreuzestod und seine Mahnung an Petrus, der das Schwert gezogen hatte („Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.“ – Matthäus 26,52) ist ein beredter Beleg für die Haltung Jesu.
Unter diesem Aspekt muss die Aussage von Matthäus 10,34 („Denkt nicht, ich sei gekommen, m Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert“) verstören – aber eben nur dann, wenn man den Zusammenhang nicht kennt. In der Folge dieses Satzes führt Jesu eine Entscheidungssituation aus. An seiner Person werden sich die Geister scheiden – Vater gegen Sohn, Tochter gegen Mutter udn Schwiegertochter gegen Schwiegermutter usw. (vgl. Matthäus 10,35f). Die Aussage gipfelt in der Aufforderung:
„Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als micht , ist meiner nicht würdig. Und wer nicht sien Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ (Matthäus 10,37-39)
Der Textzusammenhang zeigt also an, dass hier gerade nicht von einem Kampf mit Waffengewalt die Rede ist. Es geht um eine Entscheidungssituation. Der Begriff „Schwert“ ist hier daher eindeutig und unzweifelhaft metaphorisch gemeint. Anders kann er gar nicht verstanden werden. Ähnlich wie bei den Iustitia-Statuen steht das Schwert hier als Metapher für die Entscheidung. Der Schlusssatz „Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen“ macht vollends deutlich, dass es nicht um martialische und bewaffnete Auseinandersetzungen geht, sondern um eine grundlegende Entschiedenheit, die mit der Schwertmetapher rhetorisch verstärkt wird.
Wer sich auf Jesus einlässt, wird nicht einfach glauben können. Ein solcher Mensch trifft eine grundlegende Entscheidung, die sein Leben fundamental prägen wird und ihn möglicherweise auch in Auseinandersetzungen selbst mit nahen Verwandten führen kann. Die Ansage Jesu bedeutet hier, dass es in der Haltung zu ihm keine faulen Kompromisse gibt. Es gibt eben nur, um es mit einem anderen Jesuswort zu sagen, heiß oder kalt, nicht aber lau.
Die Stelle ist ein gutes Beispiel für das moderne Unvermögen, metaphorisch zu kommunizieren, wozu in gewissem Sinn auch die Satire gehört. Wie tief dieses Unvermögen mittlerweile gediehen ist, haben die Ereignisse vom 7.-9. Januar 2015 in Paris in schockierender Weise gezeigt. Sie zeigen aber auch noch einmal die Unsitte auf, die Bibel nicht zu lesen, sondern einfach mit Zitaten um sich zu werfen, die im ursprünglichen Zusammenhang einen ganz anderen Sinn ergeben, als sie ohne diesen Zusammenhang zu haben scheinen. Das reine Hörensagen hilft da nicht viel.
Es führt kein Weg daran vorbei: Auch der Glaubende muss seinen Verstand benutzen und mit forschendem Denken die Quellen befragen.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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